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Rede
16.10.2008 – Volker Schneider
Statt Trostpflästerchen brauchen wir ein Erwachsenenbildungsförderungsgesetz

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ diese Weisheit aus Kindertagen ist durch die Wissenschaft Gott sei Dank widerlegt. Dass aber Hans aus Deutschland im Erwachsenenalter noch einmal die Schulbank drückt, ist leider sehr viel unwahrscheinlicher, als es bei Jean aus Frankreich oder John aus England der Fall ist. Ist Hans zudem nicht auf der Sonnenseite des Lebens in dieser Gesellschaft geboren, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme an einer Weiterbildung nochmals deutlich. Im internationalen Vergleich gibt es kaum ein anderes Land, in dem die soziale Herkunft so stark die Chancen bestimmt, an einer Weiterbildung teilzunehmen.

Man muss kein Linker sein, um sich darüber zu empören, dass diejenigen, die in der "falschen" gesellschaftlichen Schicht geboren wurden, seltener weiterführende Schulen besuchen, seltener eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben, seltener studieren und sich seltener weiterbilden. Man muss kein Linker sein, um sich darüber zu empören, dass die Chancen dieses Personenkreises ungleich höher sind, keinen Schulabschluss zu erwerben, auch nach vielen Warteschleifen keinen Ausbildungsplatz zu bekommen und als Erwachsener keinen beruflichen Aufstieg durch Weiterbildung zu schaffen. Man muss vielleicht ein Linker sein, um sich darüber zu empören, dass dieser Sachverhalt in eklatanter Weise das Recht auf Bildung und den Grundsatz der Chancengerechtigkeit verletzt. Aber auch bei CDU/CSU und FDP muss man sich zumindest darüber empören, dass wir es uns aus wirtschaftlichen Gründen und angesichts des Fachkräftemangels nicht erlauben können, nicht die Ressourcen aller Personen in dieser Gesellschaft, egal aus welcher Schicht sie kommen, Optimal auszunutzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun verkündet die Bundesregierung, dass man zumindest im Bereich der Weiterbildung die Probleme nachhaltig angehen werde. Konkret beschließen wir heute über drei Maßnahmen: Erstens soll Weiterbildungswilligen eine Weiterbildungsprämie in Höhe von bis zu 154 Euro gezahlt werden, wenn diese einen gleich hohen Eigenanteil aufbringen. Das sind also insgesamt 308 Euro. Ich habe mir in einem Programm der Volkshochschule einmal angeschaut, was ich für dieses Geld bekomme: kommunikativer Kochkurs für Singles für 65 Euro, Keyboard für Anfänger und Anfängerinnen für 79 Euro, ein Weinseminar über drei Abende für 20 Euro pro Abend. Nichts gegen solche Angebote! Im Gegenteil: Auch Bildung darf Spaß machen, darf Hobby sein und darf der Erholung dienen. Wenn ich aber etwas für meine berufliche Bildung tun möchte, sieht es etwas anders aus. Im selben Programm steht: Fachkraft Kleinstkindpädagogik für 1 060 Euro, Kochen nicht als Hobby, sondern als berufliche Weiterbildung aus dem Kursnet der Bundesagentur für Arbeit diätische Küche für 1 272 Euro, Verkaufstraining für 670 Euro, historische Maurertechniken für 546 Euro. Ich frage mich, was Sie tatsächlich und überwiegend fördern möchten.

Zweite Errungenschaft Ihres Gesetzes ist angeblich die Verwendung vermögenswirksamer Leistungen für die Weiterbildung. Ich muss mich fragen, in welcher Welt Sie leben. Die betreffenden Personen schließen solche Verträge zum überwiegenden Teil zum Ansparen auf höherwertige und langlebige Konsumgüter ab. Wenn Sie diesen Menschen sagen: „Wie wär es denn mit einer Verwendung für die Weiterbildung?“, dann schauen Sie überwiegend in ungläubige Augen. Es wäre auch falsch, den betreffenden Personen einen Vorwurf zu machen; denn es gibt eine weitere soziale Ungerechtigkeit im System der Weiterbildung. Für diejenigen, die schon etwas haben, lohnt sich Weiterbildung ungleich mehr als für diejenigen, die nichts haben. Während der Manager auf satte Lohnsteigerungen hoffen darf, müssen sich manche Arbeitnehmer weiterbilden, nur damit sie ihren Arbeitsplatz nicht verlieren. Lohnerhöhung? Pustekuchen!

Dritter Meilenstein sind angeblich die Weiterbildungskredite. Ob diese Zielgruppe die Bonitätsprüfung überhaupt übersteht? Frau Schavan, auch 6,5 Prozent Zinsen wären für diese Personengruppe alles andere als attraktiv. Wenn sich Weiterbildung für diese Personengruppe nicht auszahlt, warum sollte sie sich dann überhaupt in Schulden stürzen?

Fazit: Das ist kein Meilenstein, wie wir es oft gehört haben. Das ist vielleicht ein großer Schritt für die Bundesregierung, aber allenfalls ein kleiner für die Menschen in diesem Land. Wir als Linke bleiben dabei: Wir brauchen keine Geldscheine als Trostpflästerchen hier und da und das fast immer an den falschen Stellen, sondern ein umfassendes Erwachsenenbildungsförderungsgesetz.
Besten Dank.

(Beifall bei der LINKEN)