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Rede
10.11.2006 – Volker Schneider
Renten- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung auf Bezirksklassenniveau

Volker Schneider: "Im Konzept des Forderns und Förderns kann ich ein hohes Niveau allenfalls in Bezug auf das Fordern erkennen."

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fußball-WM ist zu Ende und die Party geht weiter. Das ist jedenfalls der Eindruck, den man haben kann, wenn man sieht, wie die große Koalition versucht, sich zu feiern und die breite Bevölkerung in diese Gute-Laune-Stimmung einzubeziehen.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist eine sehr originelle Bemerkung!)

Fassungslos beobachtet dieselbe Koalition, dass weite Teile der Bevölkerung partout nicht mitfeiern wollen. Aber hallo, die Rentenbeiträge werden doch nur maßvoll erhöht und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sollen in fast demselben Umfang sinken. Ist das denn nicht - wie die alemannische Frohnatur Peter Weiß nicht müde wird zu verkünden; wir haben das gerade erlebt - eine erfreuliche Nachricht?

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wo er Recht hat, hat er Recht!)

Ist das denn kein Grund zu feiern? Ich fürchte, meine Damen und Herren von der großen Koalition, Sie haben immer noch nicht die Sorgen und Nöte der Menschen in unserem Land verstanden und Sie werden sie auch nicht verstehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Menschen, so sie denn nicht Arbeitgeber sind, interessiert nicht so sehr, ob sie denn nun die Hälfte von 19,5 oder 19,9 Prozent ihres Bruttolohnes in die Rentenversicherung zahlen müssen. Die Menschen interessiert vielmehr, ob sie im Alter für die von ihnen eingezahlten Leistungen ein auskömmliches Leben erwarten dürfen oder nicht. Da ist nicht erst in dieser Koalition von der Politik erheblicher Kredit verspielt worden.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Und das können Sie beurteilen?)

Die Menschen interessiert auch nicht in erster Linie, ob der Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung bei 4,2 oder 4,5 Prozent liegt. Wenn Unternehmen, die dicke Gewinne einstreichen, Jobs streichen, haben Arbeitnehmer schlicht Angst vor der Zukunft. Sie fragen sich, wie gut sie für den leider nicht mehr so unwahrscheinlichen schlimmsten aller Fälle abgesichert sind. Sie sehen sich am Anfang einer steilen Rutsche, die selbst den 50-jährigen Ingenieur nach 25 Arbeitsjahren innerhalb nur eines Jahres auf das Sozialhilfeniveau hinunterbefördert. Damit beginnt bereits das Prekariat und nicht erst dann, wenn man abgehängt ist. Davor haben diese Menschen Angst.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Menschen interessiert auch, auf welche sonstigen Hilfen sie hoffen dürfen, wenn der schlimmste aller Fälle eintritt. Da müssen sie es fast wie Hohn empfinden, wenn in Ihrem Änderungsantrag steht: "Die aktive Arbeitsmarktförderung wird auf hohem Niveau stabilisiert." Im Konzept des Forderns und Förderns kann ich ein hohes Niveau allenfalls in Bezug auf das Fordern erkennen. Spätestens mit den Sanktionen der letzten Gesetzesänderung haben Sie hier wahrlich Champions-League-Format erreicht.

(Beifall bei der LINKEN - Wolfgang Grotthaus [SPD]: Von Ihnen kommt immer nur die Forderung nach Geld!)

Im Fördern verharren Sie dagegen maximal - ich will einmal gnädig sein und nicht vom Kreisklassenniveau sprechen - auf dem Niveau der Bezirksklasse.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das haben wir doch alles schon im Ausschuss gehört!)

Während Sie all diese Probleme einfach nicht wahrnehmen können oder wollen, führen Sie auch noch mit der FDP einen aus unserer Sicht ebenso überflüssigen wie einigermaßen abstrusen Streit über die Frage, ob die Koalition ihr im Koalitionsvertrag gesetztes Ziel, die Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent zu senken, nun erreicht hat oder nicht.

An dieser Stelle hat uns der Herr Kollege Brandner - jetzt ist er nicht mehr anwesend - eine tolle Erklärung im Ausschuss für Arbeit und Soziales geliefert. Er hat dort zwar eingeräumt, dass die Beiträge bei 40,3 Prozent liegen. Er meinte dann aber, feststellen zu müssen, dass durch den Verzicht auf einen Urlaubstag

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Feiertag!)

0,5 Prozentpunkte eingespart werden könnten und wir damit tatsächlich bei unter 40 Prozent ankommen würden.

(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Sie hätten zuhören müssen! Es geht um den Buß- und Bettag und nicht um einen Urlaubstag!)

- Lassen Sie mich erst einmal zu Ende ausführen; dann verstehen Sie es vielleicht. - Herr Brandner kam so jedenfalls auf 39,8 Prozent. Das verschlägt einem schon die Sprache.

(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Erzählen Sie doch nicht solch ein dummes Zeug!)

Herr Kollege, diese krude Logik bewirkt, dass es zu einer Ersparnis für die Arbeitgeber kommt. Aber die Arbeitnehmer müssen eine zusätzliche Leistung erbringen.

(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Richtig!)

Der Sachverhalt ist also folgendermaßen: 19,9 Prozent der Lohnnebenkosten tragen künftig die Arbeitgeber und 20,4 Prozent die Arbeitnehmer.

(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Genau!)

Das macht in der Addition - Volksschule Sauerland - wieder 40,3 Prozent.

(Beifall bei der LINKEN - Anton Schaaf [SPD]: Auch richtig!)

Erstaunlich, dass eine solche Aushöhlung des Solidarprinzips von einem Bevollmächtigten der IG Metall zur Rechtfertigung der eigenen Politik herangezogen wird!

(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Jetzt beschimpfen Sie mich nicht! Ich bin kein Bevollmächtigter der IG Metall!)

So scheint der Zustand der SPD insgesamt heutzutage zu sein.

Zusammengefasst: Diese Politik geht an den Interessen der Menschen in unserem Land vorbei. Auf unsere Unterstützung werden Sie nicht hoffen können.

Besten Dank.

(Beifall bei der LINKEN)